Voigtländer 35 mm f1.2 Nokton SE

Voigtländer hat im Frühjahr 2020 eine neue Objektiv-Linie vorgestellt. Die Objektive, allesamt für Sony E-Mount, laufen unter dem Namenszusatz SE für “Still Edition”. Darauf komme ich gleich zu sprechen. Die neue Linie beinhaltet drei Brennweiten – 35 mm, 40 mm und 50 mm. Also Standardbrennweiten, die in jede Kollektion eines Festbrennweiten-Connoisseurs gehören. Bei allen drei Objektiven ist eine Offenblende von f/1.2 am Start. Wer also gern mal Lowlight fotografiert oder Fotos mit einem Bokeh-strotzenden Bildlook bevorzugt, dem ist bei der Ankündigung sicherlich schon das Wasser im Mund zusammen gelaufen. An dieser Stelle besten Dank an die United Imaging Group für die freundliche Leihgabe des Voigtländer 35 mm f/1.2 Nokton SE.

Was zeichnet die Still Edition gegenüber den bereits bekannten Pendants aus?

Wer sich etwas mit Voigtländer Objektiven auskennt, wird bereits bemerkt haben, dass die 40 mm und 50 mm in f/1.2 bereits im Portfolio existieren. Die Frage, warum dann nach relativ kurzer Zeit ein neues 40 mm und 50 mm gelauncht werden, ist also durchaus berechtigt. Bei dem ursprünglichen 40 mm f/1.2 gab es die Möglichkeit, die Rasterung der Blendenstufen so einzustellen, dass eine lautlose und stufenlose Blendenbewegung möglich war. Diese Option ist für Filmer durchaus wünschenswert, da sich die Vibration und das Geräusch der Blendeneinstellung nicht auf das Video-Material überträgt. ZEISS hat bei seiner Loxia-Reihe eine ähnliche Funktion, namens “Declick”. Dieses Feature ist für Fotografen eher irrelevant und ggf. sogar störend, da das haptische Feedback des Blendenrings wichtig für ein präzises Einstellen der Kamera ist. Still Edition bezieht sich somit auf das “unbewegte Bild”. Die SE-Linie ist also eher für Fotografen geeignet. Die Antwort zur oben gestellten Frage ist relativ simpel: Die SE-Linie von Voigtländer verzichtet auf Teile der konstruktiv aufwendigen Feinmechanik, um die Produktionskosten zu drücken. Dieses Kostenersparnis wird an uns Fotografen weitergegeben. Zum Zeitpunkt des Reviews gibt es ein Preis Delta der UVP von ca. 200 EUR. Straßenpreise können natürlich variieren.

Der Verkauf der Objektive aus der SE-Linie fängt glücklicherweise mit der Brennweite an, die es vorher noch nicht in der Lichtstärke von Voigtländer gab.

Das 35 mm f1.2 Nokton (SE)

Das 35 mm f1.2 Nokton (SE) kommt mit 9 Elementen in 7 Gruppen daher. Zwölf Blendenlamellen sollen dabei für ein ausgewogenes und möglichst rundes Bokeh sorgen. Kontakte am Bajonettverschluss sorgen auch bei der SE-Linie dafür, dass Bildinformationen an Deine Sony-Kamera übermittelt werden. Auch hier funktioniert das Fokuspeaking einwandfrei. Sobald man dann am Fokusring dreht, vergrößert sich das Bild im elektronischen Sucher bzw. auf dem Display, um einem das treffsichere Fokussieren zu erleichtern. Sony macht seit Jahren einen super Job hinsichtlich der Verwendung und Adaption von manuellen Objektiven.

Der 1/3-Stufen gerasterte Blendenring läuft nach meinen Erfahrungen etwas straffer als der vom ursprünglichen 40 mm f/1.2, was ich sehr begrüße. Die Materialanmutung ist identisch geblieben. Das 35 mm SE fühlt sich absolut hochwertig an, ist schön kompakt und liegt dabei ausgesprochen gut in der Hand. Gegenüber den ursprünglichen f/1.2 Objektiven hat sich das Design des Fokusrings verändert. Funktioniert hat der “alte” Fokusring zwar genauso gut, dieser hatte aber eher ein Auftreten eines Landrover Defenders aus den 80ern. Der SE Fokusring mit seiner feineren Riffelung sieht etwas moderner aus und gefällt mir etwas besser. Die Gegenlichtblende ist wie bei allen aktuellen Voigtländer-Objektiven aus Metall und präzise verarbeitet.

 
Die Bildqualität

Bei kontrastreichen Motiven sind chromatische Aberrationen bei f/1.2 deutlich zu erkennen. Hier hilft es etwas abzublenden oder bei der Bildbearbeitung nachzubessern. Das ist m.E. die größte Schwäche des Nokton, welche sich aber im Handumdrehen beheben lässt. Wie die meisten lichtstarken Voigtländer-Objektive vignettiert auch das 35 mm f.1.2 bei Offenblende recht stark. Ab f/4 verbessert sich die Vignette nicht mehr sichtbar. Bei Offenblende ist die Schärfe im Zentrum in Ordnung. Zu den Rändern fällt diese aber deutlich ab. Bei f/4 ist die Schärfe gut und der Sweet-Spot ist irgendwo zwischen f/5.6 und f/8 erreicht. Trotzdem ein f/1.2 Nokton auf Blende f/8 zu fotografieren, bleibt wohl eher eine Ausnahme. Meine Testaufnahmen unten wurden fast ausschließlich offenblendig aufgenommen. Der Kontrast ist bei f/1.2 okay und wird ab f/2.8 sehr gut. Hier kann man auch in Lightroom oder Capture One problemlos nachhelfen. Der Star der Show ist natürlich das Bokeh und mir gefällt es hervorragend. Es ist schön weich, ohne dass man irgendwelche “Zwiebelringe” sieht. Die Katzenaugen im Randbereich sind zwar recht ausgeprägt, stören mich aber nicht.

Fazit

Zwar klingt meine Bewertung der Bildqualität recht kritisch, aber wer sich bei diesem Objektiv nur auf DXO Mark Bewertungskriterien konzentriert, versteht den Sinn des Objektives nicht. Das 35 mm f1.2 Nokton (SE) gehört zu einer Objektivreihe, bei der der besondere Charakter im Vordergrund steht. Die ausgeprägte Vignette mit dem sehr präsenten Bokeh machen fast jedes Motiv zu einem besonderen Hingucker. Das Fotografieren mit dem Nokton macht auf den aktuellen Sony E-Bajonett-Kameras unglaublich viel Spaß! Zwar fällt die Brennweite eher in den Bereich der Reportage- und Streetfotografie, aber auch für Familienaufnahmen eignet sich das Objektiv perfekt. Da ich versuche meine Familie nicht allzu häufig auf meiner Webseite zu zeigen, musste Eddie (unser Labrador) als Motiv herhalten.

Wer auf der Suche nach einem perfekt korrigierten Objektiv ist, wird hier nicht fündig. Wer allerdings eine Standardbrennweite mit besonderem Mojo möchte, der sollte sich das Voigtländer 35 mm f/1.2 Nokton (SE) in jedem Fall anschauen. Trotz der aufgeführten Mängel, möchte ich jedem Fotografen das Objektiv empfehlen, dem ein lebendiger Charakter wichtiger ist, als bloße Benchmarks. Für mich ist das Voigtländer 35 mm SE mein persönliches Goldstück 2020.

/ Steffen Hampe